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Was ist Inklusion?  

Tagungsveranstaltung an der Hochschule Düsseldorf

Über 450 Teilnehmende aus Wissenschaft, Praxis und Politik diskutierten auf der diesjährigen zweitägigen Tagung der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit (DGSA) in 40 Panels die Perspektiven der Sozialen Arbeit auf Inklusion. 230 Vortragende präsentierten dabei ihre Positionen in Form von Workshops, Vorträgen und Posterpräsentationen. Die bislang größte Tagung der DGSA fand am neuen Campus der Hochschule Düsseldorf statt, am Fachbereich der Sozial- und Kulturwissenschaften.  

Die politische Dimension der Inklusion von heute

Christina Kampmann, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen, und Burkhard Hintzsche, Sozialdezernat und Stadtdirektor der Landeshauptstadt Düsseldorf stellten die politische Dimension der Inklusion in ihren Grußworten in den Vordergrund. Beide unterstrichen die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit von Disziplin und Profession der Sozialen Arbeit mit der Politik, um den Normen und ökonomischen Werten, die zu verletzbaren Positionierungen führen, etwas entgegensetzen zu können.  

Integration – und zwar ihr dichter Begriff, der eine gemeinsame Erfahrungsgeschichte unter zufällig herrschenden Werten bedeutet – ist laut Micha Brumlik, em. Professor an der Goethe Universität Frankfurt a.M., das, was die Gesellschaft zusammenhält. Michaela Köttig, Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit und Professorin an der Frankfurt University of Applied Sciences, diskutierte das Problem der Anerkennung unterschiedlicher Erfahrungen unter Berücksichtigung der Historizität der Differenzlinien. Diese politische Dimension der Inklusion setzte sich in den Panelvorträgen fort. Kerstin Oldemeier aus dem Deutschen Jugendinstitut präsentierte am Beispiel der bislang größten deutschen Studie über Coming-out von Jugendlichen, wie es möglich ist, eine quantitative Fragebogenerhebung inklusiv zu gestalten, nämlich indem andere Optionen als nur die Zweigeschlechtlichkeit weiblich/männlich berücksichtigt werden, Optionen, die die Befragten selbst definieren können. Yvette Völschow, Silke Brigitta Gahleitner, Katharina Gerlich und Mascha Körner stellten ihre multidisziplinär und institutionsübergreifend angelegte Studie über Opfer von Menschenhandel zum Zwecke sexueller Ausbeutung vor und diskutierten kritisch die Beratungsangebote und Begleitungsangebote mit dem Ziel der Teilhabe. Dies sind nur zwei Beispiele aus den 40 Panels.  

Die diesjährigen Highlights

Zu den diesjährigen Highlights der Tagung zählt der Film über das 25 jährige Bestehen der DGSA, der in Kürze auch auf YouTube zugänglich sein wird. Darüber hinaus wurde ein neuer Vorstand gewählt. Prof. Dr. Sabine Stövesand (HAW Hamburg) und Prof. Dr. Gudrun Ehlert (Hochschule Mittweida) wurden aus dem Vorstand verabschiedet. Die neuen Vorsitzenden sind Prof. Dr. Michaela Köttig (Frankfurt University of Applied Sciences) und Prof. Dr. Barbara Thiessen (Hochschule Landshut). Der Vorstand gewann neue Beisitzerinnen in Prof. Dr. Sonja Kubisch (TH Köln) und Prof. Dr. Claudia Steckelberg (Hochschule Neubrandenburg).  

Eine selbstkritische Perspektive der Sozialen Arbeit auf Inklusion

„Wie inklusiv hätten Sie’s gerne?“ lautet die Frage der Abschlussveranstaltung. Was braucht die Soziale Arbeit, um sich weiterhin für gleichberechtigte Teilhabe und soziale Gerechtigkeit in dieser Gesellschaft einzusetzen. Für María do Mar Castro Varela, Professorin an der Alice Salomon Hochschule Berlin tragen die selbstkritischen Instrumente zur Weiterentwicklung der Disziplin und der Profession der Sozialen Arbeit und zur Transformation der Gesellschaft bei. Soziale Arbeit, fährt sie in Anlehnung an Michel Foucault fort, brauche theoretische Strategien um zu erforschen, ab wann für wen etwas wodurch zum Problem geworden ist. Dem schließt sich auch Ruth Enggruber an, Professorin an der Hochschule Düsseldorf, indem sie fragt, inwiefern Soziale Arbeit mit der Inklusion Etikettierungen und Stigmatisierungen unterstützt und selbst Ausgrenzungen produziert. Clemens Dannenbeck, Professor an der Hochschule Landshut, betont, dass Inklusion eher ein Prozess und kein Zustand ist. Die damit verbundenen gesellschaftlichen Aufgaben sind nie abschließbar und erfordern die Solidarität der Beteiligten. Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, bestätigt die wichtige Rolle kritischer Wissenschaft und Forschung in diesem Feld und fordert Institutionen und Bürger_innen auf, ihre Einflussfelder zur Förderung von Teilhabe und Gerechtigkeit zu erkennen und aktiv zu gestalten. Was braucht die Soziale Arbeit bei diesem Prozess? Vielleicht kann diese Frage mit den Worten von Ruth Enggruber beantwortet werden, die sich wünscht, dass die Studierenden der Sozialen Arbeit so ausgebildet werden, dass sie ihre kritischen Perspektiven auch im Kontext restriktiver Institutionen beibehalten.  

Der Vorstand der DGSA  

Pressekontakt:

Kontaktperson seitens des DGSA Vorstands für Presseanfragen: Prof. Dr. Christian Spatscheck christian.spatscheck@hs-bremen.de  

Weitere Informationen zur Tagung und zur DGSA finden Sie auch unter: www.dgsa.de Die DGSA –

Deutsche Gesellschaft für Soziale Arbeit e.V. ist eine wissenschaftliche Vereinigung zur Förderung der Sozialen Arbeit. Als Fachforum bietet sie einen Ort für systematische Diskussionen und Auseinandersetzungen zur Sozialen Arbeit. Sie führt etwa 500 Mitglieder und ein größeres Fachpublikum aus Praxis, Lehr und Forschung der Sozialen Arbeit für einen regen Austausch in ihren Sektionen, Fachgruppen, Tagungen, Kolloquien und Publikationen zusammen.


Flucht, Trauma, Integration – ein neuer Service der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit listet fachkundige AnsprechpartnerInnen für die Medien auf – nicht nur zum aktuellen Thema Flüchtlinge

Silke Gahleitner hat kürzlich eine Studie zur Wirksamkeit von Traumapädagogik vorgelegt. Drei Jahre haben Forscherinnen und Forscher unter der Leitung der Professorin, die in Berlin und an der Donau-Universität Krems lehrt, untersucht, wie sich die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in einer stationären Einrichtung verändert, wenn die Mitarbeitenden eine traumapädagogische Schulung absolviert haben. Die WissenschaftlerInnen fanden heraus, wie gut es traumatisierten Kindern und Jugendlichen tut, Halt gebende Beziehungen und eine aufrichtige Kommunikation zu erfahren. Erklärt zu bekommen, wie die traumatische Erfahrung sich auf ihr Fühlen, Denken und Verhalten auswirkt, helfe Schuld und Scham zu überwinden und sich allmählich selbst zu regulieren. Durch die traumapädagogische Schulung lernten SozialarbeiterInnen und SozialpädagogInnen, betroffenen Kindern dabei ein respektvolles und aufmerksames Gegenüber zu sein.

„Traumapädagogische Kompetenzen sind auch in der Arbeit mit Flüchtlingen unerhört wertvoll“, betont Silke Gahleitner. „Denn ganz oft sind es SozialarbeiterInnen, die den Menschen in ihrer seelischen Not beistehen und dann ein Klima schaffen müssen, in dem die Bewältigung des Erfahrenen möglich ist.“

Eric Mührel bildet mit anderen KollegInnen an der Hochschule Emden/Leer Studierende des Fachbereichs Soziale Arbeit und Gesundheit auch zu Integrationslotsen aus. Während die angehenden SozialarbeiterInnen an der Hochschule ihre interkulturelle Kompetenz erweitern und Formen des begleiteten Interessenausgleichs bzw. der Konfliktmediation erlernen, begleiten sie gleichzeitig bereits Flüchtlinge etwa zu Ämtern und in Vereine. „Tatsächlich brauchen nicht nur die Flüchtlinge eine solche Beratung und Begleitung, sondern es kommen z. B. auch Sportvereine, die dabei unterstützt werden möchten, ein gedeihliches Miteinander mit den NeubürgerInnen zu schaffen“, erzählt der Professor, der neben der Flüchtlingshilfe weitere Arbeitsschwerpunkte u. a. in der Bildungsgerechtigkeit und Lebenskunst hat.

Nausikaa Schirilla wiederum hat untersucht, wie sich kriegerische Konflikte und Katastrophen in dem Flüchtlingszuzug einer Kommune widerspiegeln und wie die Integration der Flüchtlinge gelingt. Dafür hat die Professorin an der Katholischen Hochschule Freiburg Dutzende Biographien studiert, etwa solche von vietnamesischen Boat-People, von Kurdinnen und Kurden und von Flüchtlingen vor dem Jugoslawien-Krieg. Interessiert hat sie besonders, wie diese trotz widriger Umstände ihre Arbeit gefunden haben und wie gut die ehemaligen Flüchtlinge mittlerweile in ihrer Kommune verwurzelt sind. Schirillas Fazit: „Niemand flüchtet ohne triftigen Grund. Und der Wunsch, möglichst schnell sich durch eigene Arbeit finanziell abzusichern, ist zentral.“

Silke Gahleitner, Eric Mührel und Nausikaa Schirilla sind drei von über fünfzig ExpertInnen und Experten, die bereit sind, den Medien in Hintergrundgesprächen oder als InterviewpartnerInnen ihre Expertise in den unterschiedlichsten Feldern der Sozialen Arbeit zur Verfügung zu stellen.

Im ExpertInnen-Pool können Interessierte zahlreiche weitere ExpertInnen und Themen wie Straßenkinder, Leitbilder von Elternschaft, Partnerschaftsberatung älterer Menschen oder nachbarschaftsbezogene Konzepte gegen häusliche Gewalt finden.

Der Vorstand der DGSA schließt sich den Erklärungen der IFSW an

22.10.2015: Prof. Dr. Sabine Stövesand, Prof. Dr. Christian Spatscheck (für den Vorstand)


In ihrer aktuellen Stellungnahme spricht sich die Deutsche Gesellschaft für Soziale Arbeit (DGSA) für eine Willkommenskultur und eine faire Auseinandersetzung darüber aus, wie einheimische Bevölkerung und Flüchtlinge zusammenleben können. SozialarbeiterInnen nehmen in diesem Prozess der gegenseitigen Annäherung eine Schlüsselstellung ein.

Der Vorstand der DGSA schließt sich den Erklärungen der IFSW – International Federation of Social Workers sowie der EASSW – European Association of Schools of Social Work zur aktuellen Situation der Flüchtlinge in Europa an.

Wir rufen die verantwortlichen Regierungen, internationalen Organisationen und Zivilgesellschaften dazu auf, strukturelle Fluchtursachen und Gründe zu beseitigen sowie den aus Kriegen oder Not geflüchteten Menschen jene Hilfe zukommen zu lassen, die sie im Sinne der Humanität dringend benötigen und die ihnen im Sinne der Menschenrechte zusteht.

Dazu gehören auch die Schaffung von Bedingungen und Kulturen des Willkommens und Zusammenlebens in den Aufnahmeländern sowie der Wille und die Bereitschaft der BürgerInnen, mit den neu ankommenden Menschen in eine aktive und faire Auseinandersetzung über ein gemeinsames Zusammenleben zu treten, den Aufbau aller dazu förderlichen gesellschaftlichen und institutionellen Bedingungen sowie die Bereitschaft, vorhandenen Reichtum gerecht zu verteilen.

SozialarbeiterInnen leisten einen wichtigen Beitrag bei der Gestaltung der damit verbundenen Aufgaben und Herausforderungen. Durch ihre professionellen Interventionen und die Anleitung von einer beeindruckend großen Zahl von ehrenamtlichen und engagierten HelferInnen nehmen sie eine Schlüsselstellung im Hilfesystem ein. Um das hierzu Erforderliche tun zu können brauchen sie die dafür nötigen Ressourcen. Dies schließt eine angemessene Bezahlung ein sowie Arbeitsbedingungen, die den hohen Anforderungen durch Supervision, Fortbildung und Arbeitszeitausgleich Rechnung tragen.

Die Tätigkeit der SozialarbeiterInnen in der Flüchtlingshilfe ist eine fachlich komplexe und besonders herausfordernde Aufgabe. Der weiter anhaltende und an manchen Orten nur schwer erfüllbare quantitative Bedarf an SozialarbeiterInnen in diesem Handlungsfeld darf nicht dazu führen, dass fachliche Standards abgesenkt werden oder Personen in diesem sensiblen Feld tätig werden, die die nötigen fachlichen Qualifikationen und Kompetenzen dafür nicht aufweisen. Wir rufen die politisch Verantwortlichen in Bund und Ländern dazu auf, den fachlichen Nachwuchs in ausreichender Zahl zu qualifizieren und bereitzustellen.


Soziale Arbeit unter der Forschungslupe – Wirksame Praxis ist mehr, als evidenzbasierte Methoden zeigen können

Ein Bericht von Silke Birgitta Gahleitner erschienen im epd sozial, die Fachpublikation des Evangelischen Pressedienstes für die Sozialbranche, Ausgabe 20 vom 15. Mai 2015, Seiten 16-17.


Die Deutsche Gesellschaft für Soziale Arbeit befasste sich auf ihrer Jahrestagung in Würzburg mit den Effekten professioneller Sozialer Arbeit

„Fit for life“ heißt ein Programm, das sozial schwache Jugendliche beim Aufbau einer stabilen Sozial- und Lebenskompetenz unterstützt. Eingesetzt z. B. an Schulen und mit Modifikationen auch in anderen Bereichen der Jugendarbeit steigert es mithilfe von Rollenspielen, Gruppenregeln, Verhaltens – und Entspannungsübungen das Problemlöseverhalten von 13-18-Jährigen und verringert gleichzeitig aggressives und initiativloses Verhalten. Das vom Bremer Institut für Pädagogik und Psychologie entwickelte Training, dessen Wirksamkeit vielfach belegt werden konnte, war nur eines von zahlreichen Beispielen erfolgreicher Sozialer Arbeit, die auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit vom 24. bis zum 25. April an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt vorgestellt wurden.

Unter dem Titel „Wirkungen Sozialer Arbeit– Potentiale und Grenzen der Evidenzbasierung für Profession und Disziplin“ diskutierten rund 350 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zwei Tage lang sozialarbeiterische Interventionen in den verschiedensten Einsatzfeldern. In den mehr als 30 Foren und rund 100 Vorträgen wurde deutlich: Ob Sozialarbeitende Jugendliche in Kompetenztrainings schulen oder Eltern helfen, eine sichere Bindung zu ihrem neu geborenen Kind aufzubauen, ob sie psychisch kranke Menschen in ihrem Umfeld unterstützen oder mit traumatisierten Frauen im Kontext Menschenhandel zum Zwecke sexueller Ausbeutung arbeiten – mit einer wissenschaftlich basierten Vorgehensweise können sie vielfältige positive Entwicklungen anstoßen.

Von zentraler Bedeutung ist es daher, das professionelle Tun immer wieder forschend zu befragen und auf wissenschaftlich abgesicherte Füße zu stellen. Wann ist welches Handeln angebracht und nach Studienlage am aussichtsreichsten? Aber bewährte, durch Studien abgesicherte Methoden und neu gewonnene Erkenntnisse müssen nicht nur Studierenden und praktisch tätigen Sozialarbeitenden vermittelt werden. Klientinnen und Klienten selbst sind längst keine bevormundeten Fürsorgeempfänger mehr und sollen verstehen, warum sie welches Hilfeangebot bekommen. Sie sollen auch erfahren, was man sich von diesem verspricht und wie sie selbst am Erreichen einer positiven Veränderung mitwirken können.

Nicht zuletzt die Legitimation gegenüber den Geldgebern rückt im sich wandelnden Sozialstaat zunehmend in den Fokus. Wie die Wirksamkeit der Sozialen Arbeit hier angemessen belegt werden kann und soll, wurde durchaus kontrovers diskutiert. Sowohl Prof. Dr. Peter Sommerfeld von der Fachhochschule Nordwestschweiz, der den Eröffnungsvortrag hielt, als auch Prof. Dr. Sigrid James von der Universität Kassel, Referentin des Abschlussvortrags, sprachen sich für eine stärkere Evidenzbasierung der Sozialen Arbeit aus. Diese ist nach vorherrschendem Verständnis dann gegeben, wenn nur Methoden eingesetzt werden, die sich bei einer großen Zahl von Klientinnen und Klienten bewährt haben. Damit aber könnte eine Soziale Arbeit, die flexibel individuell angezeigte Herangehensweisen einsetzt oder die erst nach längerer Zeit Wirkung zeigt, aus dem Blick und aus der Förderung geraten. Evidenzbasierung verkürzt verstanden würde außerdem bedeuten, dass Soziale Arbeit ihre Interventionen in den Mittelpunkt ihrer Planungen stellt. Einig waren sich die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Tagung hingegen, dass die Prämisse, den Klienten oder die Klientin in den Mittelpunkt zu stellen, nicht aufgegeben werden sollte. In diesem Sinne kann die Evidenzbasierung ein Gewinn für alle Beteiligten sein.

Die Diskussion sei angeregt und fruchtbar gewesen, freut sich Prof. Dr. Michaela Köttig, neben Sabine Stövesand Vorstandsvorsitzende der DGSA. Ihr Resümee: „Auf der Suche nach verstehenden Zugängen zu sozialen Randlagen und prekären individuellen Lebenssituationen braucht es eine sinnvoll wissenschaftlich begleitete Qualitätssicherung in der Sozialen Arbeit. Als Kostenersparnis – dies haben die vielfältigen Untersuchungen gezeigt – kann Evidenzbasierung allerdings nicht herhalten.“

Cornelia Schäfer (pressestelle(at)dgsainfo.de)


Bilden, beraten, konfrontieren – wie wirkt Soziale Arbeit?

Die Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit am 24. und 25. April 2015 an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt lotet Potentiale und Grenzen der Evidenzbasierung für Profession und Disziplin aus.Im sich wandelnden Sozialstaat muss sich nach der Medizin und der Pflege auch die Soziale Arbeit mehr und mehr der wissenschaftlichen Überprüfung ihrer Diagnosen, Interventionen und Ziele stellen. Wie identifiziert man Risiken für das Kindeswohl? Warum stärken Programme zur besseren Eltern-Kind-Bindung den Kinderschutz, und wie genau müssen sie durchgeführt werden, damit sie wirken? Wie muss ein Jugendarrest ausgestaltet sein, damit die straffällig gewordenen Jugendlichen zu einem Legalverhalten finden? Was kann man mit Sozialer Arbeit bei Schulverweigerern realistischerweise erreichen – und was nicht? Was zeichnet eine fachlich gute Gemeinwesenarbeit aus? Welchen Sinn macht eigentlich eine geschlechtersensible Soziale Arbeit?

Es gibt viele gute Gründe, die Wirkungen Sozialer Arbeit wissenschaftlich nachzuweisen und Annahmen und Praktiken Sozialer Arbeit weiter wissenschaftlich zu fundieren und zu überprüfen: Klientinnen und Klienten sowie Kostenträger haben ein Anrecht auf wirkungsvolle Hilfeprozesse. Nur eine wissenschaftsbasierte Praxis der Arbeit mit Menschen lässt sich Studierenden zuverlässig vermitteln, nur sie immunisiert gegen die unreflektierte Übertragung eigener Erfahrungen, Wünsche und auch Vorbehalte auf die Klientinnen und Klienten. Und nur eine Profession, die gut erforschte Methoden anwendet, kann sich gegen Kritik, in der Kooperation und im Wettbewerb mit anderen Disziplinen behaupten.

Aber die Forderung nach Evidenzbasierung wirft auch Probleme auf, und das evidenzbasierte Vorgehen stößt an Grenzen. Menschen werden von vielerlei Motiven bewegt, unterliegen mannigfaltigen Einflüssen, entwickeln sich nicht linear. Eine Forschung, die Aussagen darüber treffen möchte, welche sozialarbeiterische Maßnahme in bestimmten Fällen erfolgreich war und auch in Zukunft erfolgreich sein wird, kann leicht in die Irre gehen. Und in der Praxis Sozialer Arbeit muss immer der Mensch im Mittelpunkt stehen, dessen Wohl mitunter ein Abweichen von dem bewährten Vorgehen nötig macht. Läuft eine starke Orientierung an Manualen nicht Gefahr, den Einzelfall aus den Augen zu verlieren und lädt sie womöglich unter ökonomischem Druck dazu ein, einem standardisierten Vorgehen Vorschub zu leisten, das gerade stärker beeinträchtigten Klienten nicht gerecht wird?

„Auf unserem Kongress wollen wir das Thema der Wirkung von Sozialer Arbeit und wie diese zu ermitteln sein kann grundsätzlich und aus allen möglichen Blickwinkeln diskutieren. Die DGSA bietet mit der diesjährigen Jahrestagung ein Forum für die kontrovers geführte Debatte und ich freue mich auf diese Auseinandersetzung“, beschreibt Prof. Dr. Michaela Köttig, Vorstandsvorsitzende der DGSA das Anliegen der Jahrestagung.

Zwei Tage lang beleuchten Angehörige der Disziplin in dreißig Foren mit annähernd einhundert Vorträgen verschiedenste Facetten des Tagungsthemas. Nach einem einleitenden Vortrag von Prof. Dr. Peter Sommerfeld von der Fachhochschule Nordwestschweiz über die Evidenzbasierung als Beitrag zum Aufbau eines professionellen Wissenskorpus in der Sozialen Arbeit gehen Forscherinnen und Forscher der Frage nach den erkenntnistheoretischen Grundlagen der Evidenzbasierung nach, diskutieren ihre Tauglichkeit für die sozialarbeiterische Praxis und stellen Studien zur Stichhaltigkeit und Wirksamkeit verschiedenster professioneller Vorgehensweisen vor. Einige Beispiele aus den über 100 Vorträgen:

  • Uta Bohlen und Agnes Mali vom Department Soziale Arbeit der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, HAW, berichten über das Programm „Steps towards effective and enjoyable parenting“, STEEP(TM). Das Programm, das besonders belastete Mütter und Väter beim Aufbau einer gelingenden Eltern-Kind-Beziehung unterstützt, wurde unter der Leitung von Prof. Dr. Suess Anfang der 2000er Jahre aus den USA nach Deutschland gebracht und evaluiert. Eine Veröffentlichung dazu ist in Vorbereitung.
  • Dr. Andreas Dexheimer präsentiert die Wirkungsorientierte Berichterstattung der Jugendhilfe Oberbayern, mit der die Diakonie dort seit 15 Jahren ihre Einzelfallhilfe darstellt. Der Diplom-Sozialpädagoge und Master of Social Work zeigt, wie konstruktiv eine solche Überprüfung der eigenen Arbeit sein kann, indem z. B. Methoden modifiziert und Ziele realistischer formuliert werden. Der Nachweis einer wirksamen Arbeit erleichtere auch die Kommunikation mit dem Geldgeber Jugendamt.
  • Dr. Sabrina Hoops stellt Forschungsergebnisse des Deutschen Jugendinstituts in München vor, die zeigen, wie man auch flexible und komplexe Interventionen von Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen differenziert abbilden kann. Das so genannte Logische Modell erlaubt es, darin auch erfolgreiche sowie weniger erfolgreiche Elemente auszumachen.
  • Theresa Hykel, Sozialarbeiterin aus Berlin, vertritt die These, dass die Evidenzbasierte Praxis einem Verständnis von der Sozialen Arbeit als reiner Dienstleistung Vorschub leistet. Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession sowie ihre Lebensweltorientierung drohten damit verloren zu gehen.
  • Prof. Dr. Martin Becker von der Katholischen Hochschule Freiburg stellt eine Studie zur Diskussion, die ermitteln sollte, inwiefern gemeinwesenorientierte Soziale Arbeit die Lebensqualität und Zufriedenheit in einem Stadtteil erhöhen kann.
  • Auf aktuelle Ereignisse geht Dr. Sabine Stövesand ein, wenn sie von der einmischungsbereiten Gemeinwesenarbeit im Hamburger Stadtteil St. Pauli berichtet. Die Professorin für Soziale Arbeit an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg und neben Michaela Köttig Vorstandsvorsitzende der DGSA, schildert die Auseinandersetzungen um den Abriss des Esso-Häuserblocks und den Versuch, mittels Sozialer Arbeit sozial schwache Mieter in der Wahrnehmung ihrer Interessen zu unterstützen und für die Auseinandersetzung mit einem großen Immobilienkonzern zu stärken.
  • Zum Abschluss des zweitägigen Kongresses begibt sich Prof. Dr. Sigrid James in „the belly of the beast“ und lotet Möglichkeiten und Grenzen der evidenzbasierten Praxis vor dem Hintergrund langjähriger Erfahrung aus. Denn in den USA, woher die Gastprofessorin an der Universität Kassel stammt, ist die Evidenzbasierung der Sozialen Arbeit wie auch in Großbritannien und Skandinavien schon seit zwanzig Jahren fest verankert. James betont den „Nachholbedarf“ und das Potential Deutschlands in diesem Bereich und möchte mit ihrem Vortrag einige Vorurteile gegenüber der EBP ausräumen.


Die Deutsche Gesellschaft für Soziale Arbeit e. V. (DGSA) ist eine wissenschaftliche Vereinigung zur Förderung der Sozialen Arbeit. Sie verfolgt das Ziel, als Fachforum für inhaltliche Diskussionen zu fungieren und möchte die akademische Nachwuchsförderung sowie eine lebendige wissenschaftliche und Publikationstätigkeit vorantreiben.

Cornelia Schäfer (pressestelle(at)dgsainfo.de)


Studienfach Soziale Arbeit begehrter denn je

Zum Wintersemester 2014/15, das in diesen Tagen beginnt, haben sich wieder Zehntausende junger Frauen und Männer um einen Studienplatz im Fach Soziale Arbeit beworben. Im vergangenen Jahr konnten sich schließlich 8.170 neu einschreiben. Damit gab es in Deutschland im Winter 2013 annähernd 37.000 Studierende der Sozialen Arbeit, rund 75% sind Frauen. Der praxisorientierte Studiengang, wie er an den Hochschulen für angewandte Wissenschaften bundesweit angeboten wird, befasst sich mit der Prävention und Bewältigung Sozialer Probleme. Gestützt auf die Wissenschaft der Sozialen Arbeit, auf Psychologie, Soziologie, Politik, Recht und Pädagogik, vermittelt er u. a. Methoden, wie man Menschen unterstützen und soziale Bedingungen so verändern kann, dass existentielle Herausforderungen gemeistert und das Wohlergehen verbessert werden können.

„Soziale Arbeit ist eine sehr komplexe Wissenschaft und bedeutet hoch professionelles Engagement für soziale Gerechtigkeit und einen gelingenderen Alltag“; beschreibt die Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit (DGSA), Prof. Dr. Sabine Stövesand, Disziplin und Profession. „Als Beruf ist sie ungeheuer vielfältig – das Spektrum reicht von der Erlebnispädagogik über Schuldnerberatung, den behördlichen Sozialdienst, die Suchthilfe bis zur Soziokultur. Die Mitglieder der DGSA haben sich die Aufgabe gesetzt, mittels Forschungen, Tagungen und Publikationen einen Beitrag zur Weiterentwicklung Sozialer Arbeit zu leisten.“

Die zahlreichen Einsatzmöglichkeiten für Absolventinnen und Absolventen des Fachs sind ein wichtiges Motiv vieler Studienwilliger. Aber auch die Aussicht, mit Menschen zu arbeiten und Einfluss auf gesellschaftliche Veränderungen nehmen zu können, beflügelt junge Menschen in dem Wunsch, Soziale Arbeit zu studieren.

„Soziale Arbeit ist einer unserer beliebtesten Studiengänge“, sagt Christian Sonntag von der Hochschule Niederrhein. „Das führt dazu, dass der NC hier recht hoch ist, im vergangenen Jahr lag er bei 2,4, in diesem Jahr bei 2,3. Wer über die Wartezeit rein will, wartet im Schnitt 12 Semester, bis er einen Studienplatz hat.“ Auch an der Fachhochschule Köln mit einem der größten Studiengänge Soziale Arbeit in Deutschland gehört das Fach seit Jahren zu den begehrtesten Bachelorstudiengängen. Zum Wintersemester 2014/15 gingen mehr als 8000 Bewerbungen auf die 290 Studienplätze für Erstsemester ein. Wer hier Soziale Arbeit studieren will, braucht einen NC von 2,0.

Mit den Studiengängen Sozialwesen und der Sozialpädagogik, die auch an Universitäten gelehrt wird, zählt das Statistische Bundesamt die Soziale Arbeit zum Fachbereich Sozialwesen, der beinahe jedes Jahr höhere Studienanfängerzahlen aufweist. Zum Wintersemester 2013/14 hat der Fachbereich insgesamt 67.500 Studierende verzeichnet. Und jedes Jahr entlässt er um die 12.000 Absolventinnen und Absolventen in den Beruf.

Nach mittlerweile hundert Jahren könne die Soziale Arbeit auf eine dynamische Entwicklung zurückblicken, betont die DGSA-Vorsitzende, Prof. Dr. Sabine Stövesand. „Die gegenwärtige Anzahl der Studienplätze, speziell im Masterbereich, und auch die Bezahlung entsprechen allerdings längst noch nicht dem großen Bedarf und ihrem anspruchsvollen Tätigkeitsprofil. Hier bleibt noch einiges zu tun bis die Soziale Arbeit dann hoffentlich irgendwann einmal nicht mehr gebraucht wird“.


Die Deutsche Gesellschaft für Soziale Arbeit e. V. (DGSA) ist eine wissenschaftliche Vereinigung zur Förderung der Sozialen Arbeit. Sie verfolgt das Ziel, als Fachforum für inhaltliche Diskussionen zu fungieren und möchte die akademische Nachwuchsförderung sowie eine lebendige wissenschaftliche und Publikationstätigkeit vorantreiben.


In der Sozialen Arbeit mit Flüchtlingen wird die Aufrechterhaltung fachlicher Standards und ethischer Grundorientierungen immer schwieriger. Insbesondere ungünstige Rahmenbedingungen wie das rigide ausgelegte Asylrecht und ökonomische Interessen machen es Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern vielfach schwer, die Entfaltung und gesellschaftliche Eingliederung ihrer Klientel so zu unterstützen, wie es einer Menschenrechtsprofession eigentlich anstünde.

Zu diesem Ergebnis kamen am vergangenen Wochenende (25./26.4.2014) Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Podiumsdiskussion zur Flüchtlingsarbeit, die den Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit (DGSA) an der Fachhochschule Köln abschloss.

Unter dem Titel „Konflikte – theoretische und praktische Herausforderungen für die Soziale Arbeit“ hatten sich rund 500 Kongressteilnehmerinnen und -teilnehmer in verschiedenen Panels und mehr als hundert Vorträgen zwei Tage lang mit den unterschiedlichsten Konfliktfeldern Sozialer Arbeit auseinander gesetzt.

Bereits in den Eingangsvorträgen betonten die DGSA-Vorstandsvorsitzenden Prof. Dr. Sabine Stövesand (Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg) und Prof. Dr. Herbert Effinger (Evangelische Hochschule Dresden), dass Soziale Arbeit nicht nur mit der Bearbeitung von Konflikten Anderer befasst sei, sondern auch selbst zwischen widersprüchlichen Anforderungen agieren müsse: Sie ist einerseits Anwältin sozial benachteiligter Einzelner und Gruppen, für deren Teilhabe und Entwicklung sie sich einsetzt, soll aber andererseits auch als Agentin ihrer Auftraggebenden deren Normen vertreten.


Im Konflikt zwischen Helfen und Kontrollieren

„Auf welcher Seite stehst du denn?“ formulierte Herbert Effinger die Frage, welche Sozialarbeitende im Konflikt zwischen Helfen und Kontrollieren, Fördern und Fordern Nähe und Distanz beinahe notwendig umtreibt. Das heiße aber nicht, dass man Auseinandersetzungen mit der Klientel scheue. „Eine authentische und wirkungsvolle professionelle Hilfebeziehung, die in Konflikten operiert und auch selbst konfliktträchtig ist, erfordert meines Erachtens auch wechselseitige (Heraus-)Forderungen – man könnte auch Zumutungen sagen“. Von der Gefahr, Klientinnen und Klienten direkt zu schaden, sprach Prof. Dr. Notker Schneider von der Fachhochschule Köln, die den Kongress ausrichtete. Der Philosoph und Anthropologe vom Institut für Angewandte Sozialwissenschaften berichtete in der Podiumsdiskussion zur Flüchtlingsarbeit, dass Ausländerämter Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter verpflichten wollten, Informationen etwa zur Herkunft einzelner Asylsuchender weiter zu geben. So könne eine vertrauensvolle Kooperation gar nicht erst entstehen. Schneider regte an, dass die Hochschulen selbst Position beziehen, fachwissenschaftliche Standards an die Akteure in der Flüchtlingshilfe herantragen sowie sich bei der Entstehung von neuen Flüchtlingsunterkünften aktiv einbringen sollten. Dies kann auch vor dem Hintergrund neuerer Untersuchungsergebnisse, die Prof. Dr. Andreas Zick vom Bielefelder Institut für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung präsentierte, wichtig sein. Demnach sind menschenfeindliche Haltungen unvermindert in der Gesellschaft verbreitet.


Standards offensiv vertreten

Handlungsspielräume für Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter verdeutlichte der Fall der Sozialarbeiterin Nina Schmitz. Dieser war bundesweit durch die Medien gegangen, weil Nina Schmitz aufgrund ihres Engagements für die ihr anvertrauten Flüchtlinge gekündigt worden war. Vom Gericht rehabilitiert, arbeitet sie heute nur noch in Heimen, in denen die Menschenrechte von Flüchtlingen geachtet werden und setzt sich dafür ein, demokratische Verhältnisse in Sammelunterkünften zu etablieren. Viele Standards guter Sozialer Arbeit sind sogar durch Landesgesetze gedeckt, so Schmitz.

„Menschenrecht bricht nationales Recht“, betonte Prof. Dr. Nivedita Prasad, Leiterin des Masterstudiengangs „Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession“ an der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin. Sie schlug vor, die Lebensbedingungen von Flüchtlingen dadurch zu humanisieren, dass möglichst viele unabhängige Instanzen in den Sammelunterkünften tätig seien und Flüchtlinge auch außerhalb der Heime stärkten: Etwa durch Psychotherapien für traumatisierte Menschen und Rechtsberatungen. Ihr Wunsch: Eine unabhängige Soziale Arbeit, die ganz ihren fachlichen Zielen und Mitteln verpflichtet ist und auf Interessen von Heimträgern keine Rücksicht nehmen muss.

Um dies zu erreichen, sind politische Bündnisse wichtig, sagte die DGSA-Vorstandsvorsitzende Sabine Stövesand, die die Diskussion mit Prof. Dr. Gerd Sadowski von der Fachhochschule Köln moderierte. Statt problematische Arbeitsbereiche zu meiden, solle man sich mit anderen zusammen tun und die eigene Veränderungsmacht durch Bündnisse wie etwa mit Sozialen Bewegungen oder Gewerkschaften stärken. „Menschen nicht allein lassen, Hilfe stark machen, Kontrolle thematisieren und sich nach außen vernetzen“ könnten Schlüssel zum Umgang mit den gegenwärtigen Bedingungen in der Flüchtlingshilfe sein, so Sabine Stövesand.

Die Deutsche Gesellschaft für Soziale Arbeit (DGSA) wurde im Jahre 1989 gegründet. Sie widmet sich der Förderung der Disziplin und Profession Sozialer Arbeit und entfaltet dafür eine Reihe von Aktivitäten in Forschung, Theorie und Lehre. Neben dem Fachdiskurs innerhalb der Sektionen und Fachgruppen gehören dazu auch die Veröffentlichung und Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse sowie curriculare Weiterentwicklungen und die Förderung des wissenschaftlichen und professionellen Nachwuchses. Ebenso begreift die DGSA es als ihre Aufgabe, sich mit fachlichen Beiträgen aktiv in gesellschaftspolitische Debatten einzubringen. Die DGSA ist dem internationalen Fachdiskurs verpflichtet. Sie widmet sich der internationalen Zusammenarbeit und stärkt so die Identität und Wirksamkeit der Profession und Disziplin. Konferenzen, Symposien und Kolloquien ermöglichen Austausch im Sinne politischer, weltanschaulicher und fachlicher Pluralität. Die Gesellschaft ist dabei offen für das Zusammenwirken mit anderen Gremien und Fachvereinigungen, die ein Interesse an der Sache und am Gebiet der Sozialen Arbeit habe.

Keine Angst vor Konflikten!

02.04.2014: Pressemitteilung


Längst nicht immer droht schlimmer Schaden, wenn gegensätzliche Auffassungen unter Jugendlichen zum Streit eskalieren

Muss es zum verletzenden Kleinkrieg untereinander kommen, wenn Vivian im Internet postet, dass sie nichts mehr von Vanessa wissen will, weil die sich voll eklig bei den Lehrern einschleimt? Droht eine gewalttätige Auseinandersetzung, wenn Kemal und Karl ihren Wettbewerb an der Play Station mit gegenseitigem Schubsen und Rempeln fortführen?

„Sozialarbeitende und Sozialpädagogen in der Jugendarbeit werden schnell aktiv, wenn sie Konflikte wittern“, sagt Ursula Unterkofler, Professorin für Soziale Arbeit an der Katholischen Stiftungsfachhochschule München/Benediktbeuern, „manchmal vielleicht zu schnell?“ Bei Forschungen für ihre Doktorarbeit wollte sie den Umgang von SozialarbeiterInnen mit gewalttätigem Handeln ermitteln. Was sie vorfand, waren indessen weniger Gewaltsituationen als vielmehr PädagogInnen mit einem stark ausgeprägten Risikoempfinden, die dementsprechend rasch zu präventiven Maßnahmen neigen. „Sie zeigen Jugendlichen, wie man aufgeheizte Situationen gewaltfrei hält, aber unterstellen sie damit nicht auch, dass die Jugendlichen so etwas nicht selber hinkriegen?“, zieht die Sozialpädagogin ein nachdenkliches Resumée ihrer Feldstudien in der offenen Jugendarbeit.

Wie alltagsnahe Gewaltprävention in Schule und offener Jugendarbeit aussehen kann, ist einer der Schwerpunkte auf dem Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit vom 25. bis 26. April an der Fachhochschule Köln, der unter der Überschrift steht: „Konflikte – theoretische und praktische Herausforderungen für die Soziale Arbeit“. In über hundert Vorträgen werden vielfältige Aspekte der Analyse und des Umgangs mit Konflikten thematisiert.

Dort wird auch Rainer Kilb das Konzept des Offensiven Konfliktmanagements vorstellen. „Wir vermeiden Konflikte gern, weil wir darin mitunter viel von uns preisgeben und uns angreifbar machen“, sagt der Professor für Sozialarbeitswissenschaft an der Hochschule Mannheim, „und auch Pädagogen versuchen zu sehr, Konflikte schon im Ansatz zu unterbinden. Dabei ist gerade in einer so differenzierten Gesellschaft wie unserer das Leben voller Konflikte. Und deshalb ist es ratsam, schon früh den Umgang damit zu lernen.“ Der Soziologe Georg Simmel habe im Übrigen schon vor 100 Jahren darauf hingewiesen, dass der Widerstreit gegensätzlicher Wahrnehmungen, Gefühle und Interessen kräftige Impulse für die Ausformung und das Vorankommen einer Gesellschaft setze. „Wenn wir keine Konflikte hätten, gäbe es keine Entwicklung!“, stimmt Rainer Kilb ihm zu.

Beschwere sich ein Schüler, dass er von anderen aus seiner Klasse schlecht gemacht werde, lohne es sich, den Konflikt sichtbar zu machen, indem man sich ihn von vielen Seiten schildern lässt. „Das Mosaik der unterschiedlichen Wahrnehmungen betrachten wir dann im Klassenplenum“, so Kilb, „dann sieht man meistens schon: Es gibt viele Wahrheiten.“ Hilfreich sei es dann, die Kontrahenten in die Rolle des Gegenspielers schlüpfen zu lassen und zu fragen: Wie würdest du an seiner Stelle empfinden? Was würdest du unternehmen, wenn du sie wärst, um den Streit zu beenden?

„Oft kann man Konflikte nicht wirklich lösen“, glaubt der Wissenschaftler, der bereits ein Buch zu dem Thema Konfliktmanagement veröffentlicht hat, „aber man kann sie regulieren und einen Kompromiss aushandeln, ehe die Sache eskaliert.“

Aber lassen sich denn alle Streitfälle regulieren und zum Lernen nutzen? „Wenn ein Konflikt schon in einem Stadium ist, wo jemand einen eklatanten Gesichtsverlust erlitten hat, wird es schwierig mit der Bereinigung. Und es gibt rein destruktive Konflikte, die senden von vornherein keine positiven Impulse aus“, schränkt Kilb ein, der vor seiner wissenschaftlichen Laufbahn Sportlehrer und Pädagoge in einem Jugendzentrum war. „Dann hilft nur noch ein: >Bis hier hin und nicht weiter!< von einer Autoritätsperson.“

So ein großes Stoppschild scheint ja zuweilen über den Fans gegnerischer Fußballmannschaften zu schweben, wenn diese flankiert von einem großen Polizeiaufgebot, aufeinander treffen.

Je nachdem, wie die Polizei auftritt, könne damit aber sogar Gewalt befördert werden, glaubt Martin Winands, Konflikt- und Gewaltforscher und ebenfalls einer der Referenten auf der DGSA-Jahrestagung.

„Sicher, es kommen viele Ursachen zusammen, wenn es um Konflikte und Gewalt im Umfeld von Fußballspielen geht“, sagt der Diplompädagoge, „zum Beispiel die Gruppendynamik im Fan-Bus oder im Zug auf der Hinfahrt, Alkohol, aber ganz sicher auch eine aufheizende Berichterstattung im Vorfeld und ein Empfang am Bahnhof durch eine martialisch gerüstete Polizei.“

Winands glaubt, dass es falsch ist, im Vorfeld eines Spiels schon alle möglichen Schreckensszenarien zu zeichnen – zumal schwere Körperverletzung durch Fans eher selten geworden sei. Präventiv könne es dagegen wirken, den Fußballfans wertschätzend zu begegnen, sie am Bahnhof wie Gäste zu behandeln und – wie Fan-Projekte es schon tun – auch ihre Verdienste um Fußball und Vereine zu würdigen. „Gerade Ultras, die besonders eingeschworenen und auch gern verteufelten Fans, engagieren sich da sehr.“

Und würde es nicht auch hier Sinn machen, die Kontrahenten zum zivilisierten Austausch zusammen zu bringen?

„Ganz bestimmt“, nickt Martin Winands, der in der soeben gegründeten Fachstelle Fußball und Konflikt des Bielefelder Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung mitarbeitet. „Polizei und Fans z. B. könnten viel voneinander lernen. Die Fans könnten etwa erfahren, wie auch Polizisten vor so einer Auseinandersetzung bangen und unter welchem Druck sie stehen, dass bloß nichts passiert. Und die Polizisten wären vielleicht erstaunt, wie kränkend es ist, am Bahnhof wie Verbrecher empfangen zu werden.“

Von einem Austausch könnten nach Winands Überzeugung im Übrigen auch SozialarbeiterInnen und Polizei profitieren. Obwohl beiden an friedlichen Sportereignissen gelegen sei, fehle es mitunter am Verständnis für die jeweils unterschiedlichen Wege dahin. Auf dem Jahreskongress der DGSA werden die Sozialarbeitenden ihre spannenden Theorien, Erfahrungen und Positionen aber nun erst einmal untereinander diskutieren.


„Konflikte – theoretische und praktische Herausforderungen für die Soziale Arbeit“ ist der Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit (DGSA) überschrieben, der vom 25. bis 26. April 2014 in der Fachhochschule Köln stattfindet.

Wenn nötig auch im Wollpulli

18.3.2014: Pressemitteilung


Wenn nötig auch im Wollpulli

SozialarbeiterInnen werden dringend gebraucht und sind professioneller denn je

Interview mit der Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit, Prof. Dr. Sabine Stövesand anlässlich des Jahreskongresses der DGSA am 25. und 26. April 2014 an der Fachhochschule Köln

Frau Professor Dr. Stövesand, kürzlich habe ich einen Witz über Sozialarbeiter gelesen: „Was sind die wichtigsten Utensilien für einen Sozialarbeiter? Eine Kerze, Räucherstäbchen, eine Kanne Tee und ein Diskussionsdeckchen.“ Ärgern Sie solche Spitzen gegen Ihre Disziplin und Profession?

Ich finde es grundsätzlich gut, den Dingen des Lebens mit Humor zu begegnen. Für mich äußern sich in diesem „Witz“ aber weniger Humor, denn mangelnde Kenntnis und alte Vorurteile.

Wie erklären Sie sich denn, dass es solche Bilder von der Sozialen Arbeit bzw. von den SozialarbeiterInnen gibt?

Das mag zum einen damit zusammen hängen, dass in einer auf Konkurrenz, Erfolg und materielle Werte ausgerichteten Gesellschaft das Soziale wenig Wertschätzung genießt. Soziale Arbeit beschäftigt sich zudem mit Menschen, die einen geringen sozio-ökonomischen Status haben, und auch das wird auf die Profession übertragen. Und zum Dritten: Soziale Arbeit ist Arbeit mit Menschen, es geht um Hilfe, um Bildung und Erziehung, um Alltag und Lebenswelt – also um Tätigkeiten und eine Sphäre, die traditionell mit weiblicher, unbezahlter Arbeit verbunden werden.

Die immer komplexer werdende arbeitsteilige Industriegesellschaft hat aber Anforderungen und Probleme mit sich gebracht, die ein neues, wissenschaftlich fundiertes Tätigkeitsfeld erforderlich gemacht haben. Mittlerweile blickt die Soziale Arbeit auf eine weit über 100 jährige Geschichte zurück und hat, was Theorien, Forschung und ihre differenzierten Handlungskonzepte anbelangt, einen beeindruckenden Professionalisierungsprozess durchlaufen.

Ihr Kollege Carl Wolfgang Müller vergleicht die Entwicklung der Sozialen Arbeit in den vergangenen 100 Jahren mit der des Baders zum Dr. dent., wobei die Zahnärzte Müller zufolge sogar deutlich länger gebraucht haben als die SozialarbeiterInnen. Wie professionell ist eine Fachkraft für Soziale Arbeit heute?

Es gibt unterschiedliche Qualifikationsniveaus. Der erste berufsqualifizierende Abschluss ist, nach einem 6 – 7 semestrigen Hochschulstudium, der Bachelor. Im Anschluss kann in einem Masterprogramm weiterstudiert werden, d. h. das Studium umfasst drei bis fünf Jahre. Es ist sehr anspruchsvoll, weil ein fundiertes theoretisches Wissen aus mehreren Gebieten – Soziologie, Psychologie, Politik, Ethik, Ökonomie, Kultur, Recht, Gesundheit, Bildung – integriert und bezogen auf das Aufgabenfeld Sozialer Arbeit vermittelt wird, außerdem methodisches Wissen sowohl für den Bereich der Forschung als auch handlungspraktisches. Dieses wird in intensiven Praxisphasen, die zum Studium gehören, vertieft und überprüft. Darüber hinaus ist es relativ üblich studien- oder berufsbegleitend noch zusätzliche praxisbezogene Fortbildungen zu belegen. Das heißt natürlich nicht, dass im Einzelfall nicht auch unprofessionelles Verhalten existiert – aber das kommt in allen Berufsfeldern vor. Wichtig ist dabei allerdings nicht nur, was die einzelnen Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen mitbringen, sondern auch wie die Institution ausgestattet ist, welche gesetzlichen, materiellen und zeitlichen Rahmenbedingungen vorliegen.

Während die Profession Soziale Arbeit heute mehr und mehr gebraucht wird, muss sich die Wissenschaft der Sozialen Arbeit ja immer noch ein wenig als Disziplin behaupten. Studierende an Fachhochschulen können jedenfalls nicht so ohne Weiteres ihren Doktor machen. Warum ist aus Ihrer Sicht die Sozialarbeitsforschung wichtig? An welchen Fragen arbeitet sie? Und was unternimmt die DGSA zur weiteren Profilierung der Disziplin Soziale Arbeit?

Studierende können zu Themen Sozialer Arbeit promovieren, das allerdings an oder zunehmend auch in Kooperation mit Universitäten und zumindest in Deutschland noch nicht in einer eigenständigen Disziplin. Die DGSA unterstützt PromovendInnen und Disziplinbildung z. B. mit dem Angebot von Kolloquien an drei regionalen Standorten, wir veranstalten wissenschaftliche Tagungen und veröffentlichen Ergebnisse aus Theorie und Forschung Sozialer Arbeit in unserer Publikationsreihe.

Was die Forschungsthemen angeht, die sind so vielfältig wie die Soziale Arbeit selbst. Um nur einige wenige Themen aus dem umfangreichen Programm unseres Jahreskongresses jetzt im April zum Thema Konflikte herauszugreifen: Da werden Untersuchungen vorgestellt z. B. zur Konfliktinteraktion von jugendlichen Fußballfans oder zu den Konflikten, die mit der interkulturellen Öffnung von Einrichtungen der psychosozialen Versorgung entstehen. Forscherinnen haben ehemalige Bewohnerinnen eines Frauenhauses danach gefragt, wie hilfreich die dort praktizierten Ermächtigungsstrategien für sie waren. Es geht um Konzepte zur Verbesserung der Wohnungslosenhilfe, um Mediation als Möglichkeit, Konflikte im Arbeitsalltag zu lösen oder um die Frage, wie man Konflikte im Rahmen von Schule als Lernerfahrung zugänglich machen kann, auch um damit Gewalt vorzubeugen. Andere Studien untersuchen die Schnittstellen von Heimerziehung und psychiatrisch-psychotherapeutischer Gesundheitsversorgung in Europa oder die Überwindung von Vorurteilen und Feindbildern zwischen Israelis und Palästinensern durch Dialogarbeit. Auch die berufliche Rolle selbst ist Gegenstand der Reflektion, z. B. wie man sich in Konflikten zwischen Professionalität und neoliberalen Zumutungen positioniert.

Die Forschungen begründen, aktualisieren und erweitern das verfügbare Wissen und die Handlungsoptionen in der Sozialen Arbeit. Das bildet die unverzichtbare Grundlage einer professionellen Eigenständigkeit, sowohl was den Umgang mit den AdressatInnen als auch die Ansprüche der Geldgeber anbelangt.

Durch welches Bild der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter würden Sie das des Wollpulli tragenden Gutmenschen gern ersetzen?

Dass dieser Begriff überhaupt zu einem abwertenden Terminus geworden ist, sagt viel über den Zustand unserer Gesellschaft aus. Ich finde, es ist nichts gegen Menschen einzuwenden, die Gutes tun. Umso mehr, wenn das auf der Grundlage einer umfassenden Qualifizierung geschieht. Ein wichtiges Prinzip Sozialer Arbeit ist es, situationsadäquat zu handeln und auch Wollpullover können in bestimmten Situationen durchaus passend sein. Ein einheitliches Bild gibt es nicht und das wiederum passt in eine moderne, plurale Gesellschaft. Sozialarbeitende sind vielfältig, was sie verbindet, ist in der Regel ein hohes Engagement, ein komplexes Kompetenzprofil und das Interesse an Menschen und sozialen Fragen.


„Konflikte – theoretische und praktische Herausforderungen für die Soziale Arbeit“ ist der Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit (DGSA) überschrieben, der vom 25. bis 26. April 2014 in der Fachhochschule Köln stattfindet.

Tagungsflyer und nähere Informationen s. www.dgsa.de

Den Blick schärfen

06.03.2014: Pressemitteilung


Den Blick schärfen

Der neunte Band aus der Reihe „Theorie, Forschung und Praxis der Sozialen Arbeit“ bahnt Zugänge zu Sozialen Wirklichkeiten

Welche Hilfsangebote machen FallmanagerInnen allein erziehenden Müttern im ALG II-Bezug zugänglich? Welche Unterstützung erhalten Kinder, die von häuslicher Gewalt traumatisiert sind? Was können SchulsozialarbeiterInnen der Bildungsbenachteiligung von Mädchen und Jungen mit Migrationshintergrund entgegensetzen? Und wie kann man eine gelingende Gemeinschaft von Menschen unterschiedlicher Herkunft und Milieus befördern?

Fachkräfte in der Sozialen Arbeit sind mit vielfältigen Handlungs- und Problemfeldern konfrontiert. Hier braucht es fundierte Wahrnehmung, Analyse und Intervention. Auf diesen klassischen Dreischritt bezieht sich die gerade (März 2014) erschienene Publikation „Soziale Wirklichkeiten in der Sozialen Arbeit“. Das Buch ist der neunte Band der im Budrich-Verlag aufgelegten Reihe „Theorie, Forschung und Praxis der Sozialen Arbeit“, die von der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit herausgegeben wird.

Aus theoretischer, handlungsmethodischer, forschungs- und handlungspraktischer Perspektive reflektieren, hinterfragen und überprüfen die Autorinnen und Autoren Zugänge in der Sozialen Arbeit zu Sozialen Wirklichkeiten. Diese sind immer auch von sehr subjektiven Wahrnehmungen, Erfahrungen und Haltungen geprägt. Und so wird bereits in den einleitenden Beiträgen betont, wie unverzichtbar die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Gegenständen der Sozialen Arbeit ist: weil sie die Wahrnehmung schärft, die Analyse strukturieren hilft und damit erst hilfreiche Interventionen möglich macht. Empirische Forschung und Theorien etwa über strukturelle Diskriminierung oder die Auswirkungen sexueller Misshandlungen in der Familie helfen, bestimmte Phänomene überhaupt erst in den Blick zu bekommen und die sozialarbeiterische Praxis auf professionelles Wissen zu stützen statt auf unreflektierte Alltagstheorien.

Im „Kinderschutzfall Faruk Zadek“ wird deutlich, dass mitunter viele Perspektiven nötig sind – hier: eine klinisch-sozialarbeiterische, eine rekonstruktive, eine migrationstheoretische und eine gendersensible –, um das Geschehen halbwegs genau zu erfassen und angemessene Eingriffsmöglichkeiten zu identifizieren.

Gewarnt wird allerdings auch davor, sich von Empirie und Theorie den Blick auf den konkreten Fall verstellen zu lassen. So können etwa erhebliche Identität stärkende Potenziale bei Kindern mit Gewalterfahrungen zutage gefördert werden, wenn sie nicht in erster Linie als Opfer betrachtet, sondern als handelnde Personen mit Fähigkeiten und Werten angesprochen werden. Wie wichtig der Blick auf den Einzelfall ist, wird auch am Beispiel einer behinderten jungen Frau anschaulich, die sich nicht den Inklusionsvorstellungen ihrer Betreuer und Betreuerinnen beugen mag. Anstatt dankbar die offerierte Möglichkeit zu ergreifen, auf dem Allgemeinen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, hält sie an ihrer Tätigkeit in einer Beschützten Werkstatt fest. Der Grund: Die Arbeit dort erlaubt es ihr, weiter ihre Freunde zu treffen und nebenbei auf dem elterlichen Hof mitzuhelfen, wo jede Hand gebraucht wird.

KlientInnen ihren Eigensinn zuzugestehen und bei der Diagnostik auf ihre Ressourcen zu achten sind wichtige Postulate der in dem Band versammelten WissenschaftlerInnen. Um auf beides einen unvoreingenommenen Blick zu gewinnen, empfehlen sie PraktikerInnen wie ForscherkollegInnen gleichermaßen eine methodische Fremdheitshaltung als Prinzip rekonstruktiver Wirklichkeitserfassung.

Dies umso mehr, als schon die Art der Annäherung und der Exploration Interventionen darstellen, die den Klienten und Klientinnen ein bestimmtes Selbstverständnis nahe legen und Handlungsmöglichkeiten eröffnen oder eben auch nicht.

Mit dem neunten Band der Schriftenreihe der DGSA ist es den HerausgeberInnen gelungen, vielfältige Expertise und spannende Perspektiven auf Soziale Wirklichkeiten zu versammeln und diese gleichermaßen für Lehrende, Forschende, PraktikerInnen und Studierende der Sozialen Arbeit wie auch für benachbarte Disziplinen zugänglich zu machen.

Michaela Köttig, Stefan Borrmann, Herbert Effinger, Silke Birgitta Gahleitner, Björn Kraus und Sabine Stövesand (Hrsg.): Soziale Wirklichkeiten in der Sozialen Arbeit. Wahrnehmen – analysieren – intervenieren. Theorie, Forschung und Praxis der Sozialen Arbeit, Band 9.

Verlag Barbara Budrich, Opladen, Toronto 2014, 272 Seiten, kartoniert, 24,90 € (D), 25,60 € (A), ISBN 978-3-8474-0148-3.

Für Rezensionsexemplare wenden Sie sich bitte an den Verlag: corinna.hipp(at)budrich.de

Konflikte im Fokus

10.02.2014: Pressemitteilung


Konflikte im Fokus

Der Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit (DGSA) befasst sich vom 25. bis zum 26. April 2014 an der Fachhochschule in Köln mit Konflikten als Ausdruck gegensätzlicher Interessen, Bedürfnisse, Werte, Ziele und Deutungen. „Konflikte – theoretische und praktische Herausforderungen für die Soziale Arbeit“ ist das zweitägige Programm überschrieben. Die Tagung reflektiert Konflikte sowohl auf den Ebenen von Wissenschaft und Ausbildung als auch in den verschiedenen Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit.

Gefragt wird etwa danach, wie konfliktorientiert bzw. konfliktscheu sozialarbeiterische Forschung und Praxis eigentlich sind; das Konfliktfeld Teamarbeit wird ebenso untersucht wie der Zwiespalt, in den die Soziale Arbeit zwischen Professionalität und neoliberalen Zumutungen geraten kann.

Konflikte innerhalb von Zielgruppen Sozialer Arbeit oder zwischen MitarbeiterInnen und KlientInnen spielen z. B. in sozialen und pflegerischen Einrichtungen, wo kulturelle und sozioökonomische Differenzen zu Spannungen führen können. Aber auch Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen, sei es im Rahmen der Heimerziehung oder in der offenen Arbeit, werden bearbeitet. Betrachtet wird das Zusammenleben von ethnischen Gruppen in Deutschland ebenso wie die Rolle der Geschlechtszugehörigkeit in Arbeitskonflikten oder die Diskrepanz zwischen Interessen von Wohnungslosen und Ämterhandeln.

Nach einem einführenden Vortrag von Prof. Dr. Herbert Effinger und Prof. Dr. Sabine Stövesand am Freitag werden sich bis Samstagmittag mehr als dreißig Foren in siebzig Vorträgen verschiedenster Facetten des Tagungsthemas annehmen. Ein hochkarätig besetztes Abschlusspodium diskutiert Konflikte dann am Beispiel des Umgangs mit Flüchtlingen.

Das Tagungsthema wird theoretisch und praktisch fundiert: Wie entstehen Konflikte, und welche Dynamik wohnt ihnen inne? Wie geht man produktiv mit Konflikten um, die ja zugleich Störfaktor und Antriebskraft, Anlass für Veränderungen sein können? Wie funktioniert Mediation im Gemeinwesen, und wie sieht eine alltagsnahe Konfliktprävention aus?